
Interview über den ersten Kaffee aus Solidarischer Landwirtschaft
Weltladen-Dachverband: Worum geht’s in eurem Projekt?
Ina Schicker: Mit dem wir.Kaffee haben wir die weltweit erste globale SoLawi für Kaffee initiiert. SoLawi steht für Solidarische Landwirtschaft, ein Wirtschaftsmodell, in dem Produzent*innen und Konsument*innen gemeinsam wirtschaften. Konsument*innen erwerben Ernteanteile und bezahlen dafür die Kaffeebäuer*innen, vierteljährlich und unabhängig vom Ernteertrag, für ihre Arbeit. Konkret auf unser Projekt heißt das: Nicaraguanische Kaffeebäuer*innen und deutsche Konsument*innen teilen sich die Verantwortung, das Risiko und den Erfolg im Kaffeeanbau.

Weltladen-Dachverband: Wie ist das Projekt entstanden?
Ina Schicker: Am Anfang stand die Frage, wie wir unsere Handelspartner so unterstützen können, dass ihnen auch in schwierigen Zeiten wie der Corona-Krise geholfen ist, wenn z.B. Erntehelfer*innen ausfallen oder der Kaffee nicht transportiert werden kann. Was es für sie braucht, ist eine Art Absicherung gegen unwägbare Risiken. Bei „Weltläden im Dialog“ habe ich mich mit Jens über die Vision ausgetauscht, dies über eine noch direktere und persönlichere Verbindung zwischen Produzent*innen und Kundschaft in Form einer Solidarischen Landwirtschaft zu versuchen.
Weltladen-Dachverband: Wie ist der aktuelle Stand des Projekts und wer macht alles mit?
Ina Schicker: Im Sommer 2021 sind die ersten 18 Tonnen wir.Kaffee in Deutschland eingetroffen. Das war die komplette Kaffeeernte von 15 Familien. Seither wird der Kaffee in 10 Weltläden in unserer Region (Schwabmünchen, Schongau, Buchloe, Füssen, Pfronten, Bad Grönenbach, Sonthofen, Immenstadt, Oberstdorf, Freising) sowie in zwei Allgäuer Bioläden verkauft.
Jens Klein: Darüber hinaus trommeln wir von Café Chavalo bundesweit, um weitere Partner*innen mit ins Boot zu holen. Neben Weltläden begeistern sich auch Privatleute, Bestellgemeinschaften und vor allem Mitglieder bestehender SoLawis für das Projekt. Aber es ist kein Selbstläufer und verlangt viel Informationsarbeit.
Die Werbung für die Erntesaison 2022 hat letzten November begonnen. Gerne würden wir noch weitere Weltläden als Partner gewinnen. Ab 2022 werden die Ernteanteilsscheine dann auch über den Online-Shop des Weltladen Hamburg-Bergedorf angeboten. Dann können sich bundesweit Kund*innen mit am Projekt beteiligen.
Weltladen-Dachverband: Wie läuft das konkret ab? Und können sich weitere Weltläden beteiligen?
Ina Schicker: Die Weltläden sind selbst als SoLawi-Partner an Bord und haben sich vorab Ernteanteile gesichert. Kund*innen können diesen Kaffee entweder ganz einfach aus dem Regal kaufen oder selber Ernteanteilsscheine zeichnen und damit die Ernte für die nächste Saison aktiv mit vorfinanzieren.
Der Kaffee verkauft sich sehr gut und das Projekt findet viel Anklang. Daher haben fast alle bisherigen Partner ihre Bestellungen für 2022 stark aufgestockt. Die Werbung für die Erntesaison 2022 hat letzten November begonnen. Gerne würden wir noch weitere Weltläden als Partner gewinnen. Ab 2022 werden die Ernteanteilsscheine dann auch über den Weltladen Hamburg-Bergedorf angeboten. Dann können sich bundesweit Kund*innen mit am Projekt beteiligen.
Weltladen-Dachverband: Was ist das Neue an dem Projekt?
Jens Klein: Die Kaffeeproduzent*innen legen im Vorfeld selbst fest, was sie an Geld benötigen, um ihre familiäre Existenz zu sichern, ihre Kinder zu versorgen und ihr Land nachhaltig zu bearbeiten. Das ist ein klarer Gegenentwurf zum herkömmlichen Handel, bei dem die Ware im Mittelpunkt steht und die Ernte am Ende des Jahres zu einem festen Kilogramm-Preis verkauft wird.
Mit dem SoLawi-Modell signalisieren wir als Abnehmer*innen des Kaffees, dass wir den Produzent*innen große Wertschätzung für ihre Arbeit entgegenbringen und sie dabei unterstützen möchten, langfristig an ihrer Vision des umwelt- und sozialverträglichen Kaffee-Anbaus festzuhalten.
Weltladen-Dachverband: Wie entsteht der Preis in der SoLawi?
Jens Klein: Die Kalkulation in Nicaragua basiert auf Zahlen, die die Bäuer*innen selbst ermittelt haben. Sie erhalten von uns in mehreren Raten pro Jahr den Preis, den sie für die Deckung der Produktions- und Lebenshaltungskosten nach eigener Aussage benötigen. Damit sind auch Kosten für Bildung, Gesundheitsvorsorge etc. abgedeckt.
Hinzu kommen die Kosten für Export, Transport, Röstung und Verpackung. Um daraus unseren Preis für die Ernteanteile zu ermitteln, haben wir auf bisherige Erfahrungswerte zurückgegriffen.
Weltladen-Dachverband: Warum ist der Ansatz gerade für Kaffee spannend?
Jens Klein: Kaffee-Handel ist ein hartes Geschäft, denn die Produzent*innen sind abhängig vom Weltmarktpreis. Dadurch, dass Kaffee an der Börse notiert ist, gibt es viele Spekulationsgeschäfte. In schlechten Jahren war es schon so, dass maximal 60 % der Produktionskosten des Kaffees mit dem Preis gedeckt werden konnten. Darauf bieten wir mit dem Fairen Handel bereites eine wichtige Antwort: Der Fairtrade-Mindestpreis sichert die Preise nach unten ab. Der SoLawi-Gedanke geht aber darüber hinaus noch einen Schritt weiter.
Weltladen-Dachverband: Was bedeutet das Projekt für die Produzent*innen in Nicaragua?
Jens Klein: Die SoLawi-Idee war neu für die Produzent*innen in Nicaragua. Aber sie kam zur richtigen Zeit. Das Land steht vor großen Herausforderungen: Die politische Krise, zwei schwere Hurrikans und nun auch noch die Corona-Krise. Viele Menschen verlassen Nicaragua. Unsere SoLawi-Partner und auch die anderen Mitglieder der Kooperative UCA Miraflor bleiben. Das spricht für unser Modell.
Mit dem SoLawi-Modell signalisieren wir als Abnehmer*innen des Kaffees, dass wir den Produzent*innen große Wertschätzung für ihre Arbeit entgegenbringen und sie dabei unterstützen möchten, langfristig an ihrer Vision des umwelt- und sozialverträglichen Kaffee-Anbaus festzuhalten. Unser Modell gibt ihnen große Zuversicht und wirkt auch der Angst entgegen, dass aufgrund politischer Sanktionen der Kaffee-Export aus Nicaragua zunehmend erschwert werden könnte.
Weltladen-Dachverband: Wie geht es mit dem Projekt weiter?
Jens Klein: Für mich ist die SoLawi die Wirtschaftsform der Zukunft. Wenn es nach uns und auch unseren Handelspartnern geht, würden wir das Projekt gerne auch auf weitere Kaffee-Sorten und Familien ausweiten. Daher wäre es großartig, wenn wir weitere Weltläden und auch regionale SoLawis als Kooperationspartner gewinnen.
Video-Beitrag zum wir.Kaffee
Marivel Gonzalez und Bertilda Vilchez über solidarische Landwirtschaft und Kaffeeanbau in Nicaragua
Neugierig geworden?
Bei Interesse am Projekt meldet euch gerne per E-Mail bei:
Dr. Ina Schicker, koordinatorin@weltlaeden-iller-lech.de
Jens Klein, jens@cafe-chavalo.de