
Zwangspause für Lederwerkstatt
Das Craft Resource Center
Das Craft Resource Center (CRC) hat seinen Sitz in Kolkata, Indien. In einem eigenen Gebäude befindet sich nicht nur das Büro, sondern auch die zentrale Qualitätskontrolle für jedes einzelne Produkt, sowie die Arbeits- und Lagerräume zum Verpacken und Versenden der bestellten Waren. In einem anderen Teil Kolkatas unterhält die Fair Trade Organisation auch eine eigene Lederwerkstatt, in der in großer Stückzahl besonders hochwertige Taschen aus Eco-Leder hergestellt werden. Darüber hinaus arbeitet CRC als Fair-Handels-Partner mit 30 Handwerksgruppen zusammen. Einige der Handwerker*innen, die Produkte aus vielen verschiedenen Materialien herstellen, arbeiten ebenfalls in Kolkata, andere Gruppen sind in ländlichen Gebieten zu Hause.

Zwangspause und Notunterkunft in der Werkstatt
Am 24. März verhängte die indische Zentralregierung einen umfassenden Lockdown über das ganze Land: Der internationale und der landesweite Verkehr wurden eingestellt, Vorortzüge und S-Bahnen ausgesetzt, öffentliche Einrichtungen wurden geschlossen und eine Ausgangssperre verhängt.
CRC hatte das Büro vorsichtshalber bereits Mitte März geschlossen und die Arbeiten soweit möglich in den virtuellen Raum verlegt.
In dieser Zeit war es nicht möglich, fertige Waren zu verschiffen, und auch die Handwerkerinnen und Handwerker konnten keine Produkte an CRC liefern. Die Lederwerkstatt musste schließen und die Arbeiter*innen wurden nach Hause geschickt. Zwei Schneiderwerkstätten konnten jedoch unter Corona-Auflagen an den Aufträgen der GEPA weiterarbeiten und zusätzlich noch einigen Arbeiter*innen eine Unterkunft bieten, die wegen der Reisebeschränkungen in dieser Zeit nicht nach Hause zurückkehren konnten.
Fairer Handel macht handlungsfähig
Glücklicherweise verfügte die Organisation über einen Nothilfefonds, der nun zum Einsatz kam: Während die Angestellten bei CRC weiterhin ihr Gehalt bekamen, wurden den Handwerker*innen neben noch ausstehenden Zahlungen zusätzliche Gelder ausgezahlt, damit die Familien ernährt und begonnene Arbeiten fertigstellt werden konnten. CRC beteiligte sich außerdem an einer Unterstützungsaktion für Betroffene des Zyklons Amphan, der die Region im Mai heimgesucht und schwere Schäden verursacht hatte. Die durch CRC getroffenen Maßnahmen machen auf eindrucksvolle Weise deutlich, welche Möglichkeiten durch Handelspraktiken wie pünktliche und faire Bezahlung, langfristige und verbindliche Zusammenarbeit entlang einer partnerschaftlichen Lieferkette entstehen.

Corona-Auflagen und erneuter Lockdown
Seit Juli wurden die Einschränkungen der Zentralregierung schrittweise gelockert. Bei CRC wird wieder gearbeitet, jedoch unter großen Einschränkungen: Wegen der Abstandsregelungen kann die Lederwerkstatt nicht voll besetzt werden. Das erste und zweite Stockwerk des CRC-Gebäudes sind vollgestopft mit fertiggestellten Waren, die inzwischen von den Gruppen angeliefert wurden und nun darauf warten, kontrolliert und verpackt zu werden. In beiden Bereichen wird jetzt an allen Wochentagen gearbeitet, doch ein Rückstand von 3 Monaten ist so schnell nicht aufzuholen. Dazu kommt, dass nun die Lokalregierung immer wieder neu den Lockdown über das Kolkata verhängt. „Das passiert jede Woche, betrifft zufällig mal die einen, mal die anderen Wochentage und ist somit völlig unvorhersehbar. Wir haben so viel liegengebliebene Arbeit hier und können nicht planen!“ beschreibt Indro Dasgupta, Geschäftsführer von CRC, Mitte September die Situation in einer E-Mail an die GEPA.
Natürlich achtet man bei CRC genau auf die Einhaltung von Sicherheitsabständen und Hygienemaßnahmen und erstattet Kosten für Corona-Tests. Mutmaßlich infizierte Mitarbeitende konnten medizinisch behandelt, begleitet und getestet werden und sind inzwischen wieder gesund.
Beunruhigende Entwicklung in Indien
Die Lage in Indien ist jedoch weiterhin kritisch: Nach fast 5 Monaten Stillstand haben Millionen Menschen ihren Job und ihre Einkommensquellen verloren und wissen nicht, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen. Das BIP lag im 2. Quartal um fast ein Viertel unter dem Wert des Vorjahreszeitraums. Die indische Zentralregierung reagierte mit der Aufstockung der Lebensmittelhilfen und kündigte Programme für billigen Wohnraum und Kleinkredite an. Doch haben längst nicht alle Bedürftigen Zugang zu den staatlichen Lebensmittelrationen und eine angemessene Ernährungssicherheit kann damit nicht gewährleistet werden.
Wissenschaftler*innen in Indien haben außerdem starke Zweifel an der vergleichsweise niedrigen offiziellen Sterberate im Zusammenhang mit COVID 19 und verweisen auf die bereits ohne Pandemie äußerst lückenhafte Datengrundlage zur Erfassung von Todesfällen und -ursachen.
Während sich die Pandemie in den ersten Monaten vor allem in den Metropolen ausbreitete, verzeichnet Indien im September mit über 90.000 nicht nur die meisten Neuinfektionen an einem Tag, sondern auch vermehrt Fälle in den vielen ländlichen Regionen. Die medizinische Versorgung ist hier wesentlich schlechter als in den Metropolregionen und Corona hat hier bereits jetzt zu einer Überlastung des Gesundheitssystems geführt, so dass übliche medizinische Dienstleistungen wie z.B. das Impfen von Kindern in einigen Staaten eingestellt wurden. Arbeitsmigrant*innen sind nach dem Verlust ihrer Einkommensmöglichkeiten aus den großen Städten in ihre Heimatregionen zurückgekehrt und haben zu einem Anstieg der Zahl der Bedürftigen in diesen ärmeren, ländlichen Bundesstaaten beigetragen. Hier sind auch viele der Produzentengruppen von CRC zu Hause.
Die Zukunft ist unklar
Wenngleich die Fair-Handels-Organisation CRC bislang viel dazu beitragen konnte, die Situation für die Menschen im eigenen Umfeld erträglich zu machen und die eigenen Aktivitäten so gut es ging anzupassen, so sind die Mittel zur Selbsthilfe doch begrenzt. Niemand weiß, was die nächsten Monate bringen werden, doch steht zu befürchten, dass den Handelspartnern in Indien die größte Herausforderung durch COVID 19 noch bevorsteht.