
Interview mit Leonie Bremer (Fridays for Future)
Sie engagieren sich schon seit vielen Jahren für mehr Klimaschutz. Was motiviert Sie?
Die Klimakrise ist eine Gefahr für die Lebensgrundlage aller Menschen, also auch meiner. Wenn der Norden Deutschlands überschwemmt wird, Holland absäuft und es aufgrund von Dürren zu Ernteausfällen kommt, dann sind unsere Gesundheits- und Ernährungssicherheit gefährdet. Das ist aber die Perspektive unserer Zukunft. Bei 1,2 Grad globaler Erderwärmung ist das schon längst die Lebensrealität der Menschen aus den Ländern, die am meisten betroffen sind. Es ist die Hölle und es ist unglaublich ungerecht.
In persönlichen Gesprächen mit Aktivist*innen aus dem Globalen Süden wird mir immer wieder bewusst, dass sie in ihrem Alltag bereits von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen sind. Ich sehe, wie groß ihre Motivation und Energie ist, dagegen zu kämpfen. Sie sind die Menschen, die unsere Bewegung antreiben, die mir jeden Tag so viel Kraft geben, dafür zu kämpfen, die Klimakrise einzudämmen. Ich schöpfe meine Motivation aus der Erkenntnis, dass auch ich Verantwortung habe und wie privilegiert meine Position hier in Deutschland ist, überhaupt aktivistisch tätig sein zu können. Also müssen wir dafür sorgen, dass politische Entscheidungsträger*innen die Klimakrise als solche benennen und dem Thema nicht mehr durch Lügen und wissenschaftlich falsche Auslegung entfliehen können.
Auch wenn die Entscheidungsträger*innen noch nicht verstanden haben, dass es jetzt an der Zeit ist zu handeln, kann ich durch mein Engagement bei Fridays for Future trotzdem etwas dafür tun, dass meine Zukunft sicher ist. Es motiviert mich, mich für Gerechtigkeit einzusetzen – nicht nur in Deutschland. Die Klimakrise hört ja nicht an irgendwelchen Grenzen auf, sondern ist eine globale Krise. Ich will ein Sprachrohr der Wissenschaft sein und auch von den Menschen lernen, die bereits unter der Klimakrise leiden und deren Folgen jetzt schon so drastisch spüren, wie es auf uns erst noch zukommt. Diese Geschichten möchte ich erzählen und ihnen Raum bieten.
Was bedeutet Klimagerechtigkeit für Sie?
Klimagerechtigkeit bedeutet, dass jede Person den gleichen Anspruch auf unsere planetaren Ressourcen hat. Es bedeutet, dass die Länder und gesellschaftlichen Schichten, die in der Vergangenheit am meisten Emissionen verursacht haben, den Preis dafür zahlen, diese Emissionen wieder ins Gleichgewicht mit dem vorhandenen CO2-Budget zu bringen. Für die MAPAs, Most Affected People and Areas, also die Länder, die am meisten betroffen sind, bedeutet Klimagerechtigkeit, dass sie für die Folgen von Klimakatastrophen nicht selbst finanziell aufkommen müssen. Schuldenerlasse und Klimakrisenfinanzierung für Länder, die zum Beispiel am Meer liegen und direkt vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen sind, wären dafür passende Maßnahmen. Auch Generationengerechtigkeit ist hier ein Thema. Viele der Emissionen wurden von früheren Generationen verantwortet. Klimagerechtigkeit bedeutet, nicht einfach nur das 1,5-Grad-Ziel anzuerkennen, sondern zu verstehen, dass es krasse Veränderungen braucht, um dieses Ziel zu erreichen. Diese Veränderungen werden extreme Einschnitte in unser Leben bedeuten. Auch die Politik kann nicht einfach so weitermachen wie bisher.
Klimagerechtigkeit bedeutet, dass jede Person den gleichen Anspruch auf die planetaren Ressourcen hat.
Welchen Bezug haben Sie zum Fairen Handel?
Genau wie die Fair-Handels-Bewegung ist es auch Fridays for Future wichtig, dafür zu sorgen, dass wir hier im Globalen Norden nicht auf Kosten der Menschen im Globalen Süden leben. Fairness sollte die Grundlage unserer Wirtschaft sein. Der Faire Handel darf keine Ausnahme mehr sein, sondern muss die Regel werden.
Wie wichtig sind zivilgesellschaftliche Bewegungen, wenn es darum geht, politische Veränderungen zu bewirken?
Zivilgesellschaftliche Bewegung bedeutet, dass Demokratie mehr gelebt wird. Im Moment frage ich mich oft, inwieweit die Inhaber*innen politischer Machtpositionen noch einen Bezug zur Gesellschaft haben und deren Interessen vertreten können. Umso wichtiger ist es, dass Menschen für ihre Interessen einstehen und sich in zivilgesellschaftlichen Bewegungen engagieren. Diese Bewegungen können das politische System verändern.
Es ist sehr wichtig, verschiedenste Bewegungen zu haben. Bewegungen, die sich für den Klimaschutz engagieren, Bewegungen, die zivilen Ungehorsam leisten, Bewegungen, die radikaler sind als andere. Auch Bewegungen, die die breite Masse mitnehmen, sind absolut wichtig. Unter diesen Bewegungen kann es auch mal zu Konfrontationen kommen. Aber dadurch werden die verschiedenen Akteur*innen dazu angeregt, zu hinterfragen, ob ihre Ansichten und das, was sie einfordern, eigentlich richtig und ambitioniert genug sind.
Die Corona-Krise zeigt, wie schnell Politik und Gesellschaft reagieren können, wenn eine akute Bedrohung spürbar ist. Welchen Einfluss hat die Corona-Krise auf den Kampf gegen die Klimakatastrophe?
Wir haben während der Pandemie einerseits gesehen, dass die Gesellschaft solidarisch sein kann. Andererseits gab es auch die Demos gegen Corona-Maßnahmen, die genau das Gegenteil gezeigt haben. Die Regierung hat schnell Maßnahmen ergriffen, die sich an den Erkenntnissen der Wissenschaft orientiert haben. Ein solches Vorgehen brauchen wir auch angesichts der Klimakrise.
Aber im Moment sind wir weit davon entfernt. Ich habe letzten Sommer an einem Gespräch zwischen Vizekanzler Olaf Scholz und Hans Joachim Schellnhuber, dem Gründer des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, teilgenommen und dort wurde sehr deutlich, dass mit Scholz‘ Politik niemals das 1,5-Grad-Ziel erreicht werden wird.
Die Krisen sind aber nicht vergleichbar. Die langfristigen Folgen der Klimakrise haben gigantische, unvorstellbar große Ausmaße im Vergleich zur Corona-Krise. Wenn wir bis 2030 nicht klimaneutral geworden sind, haben wir unser gesamtes CO2-Budget verbraucht und dann drohen uns ein brennender Planet, das Absaufen verschiedenster Länder und eine noch größere Ernährungsunsicherheit.
Was kann ich als Einzelperson dazu beitragen, die Folgen der Klimakatastrophe abzumildern?
Ich bin nicht der Meinung, dass Veränderungen im Individualkonsum die Klimakrise aufhalten werden. Denn 100 Unternehmen sind für 70 Prozent unserer globalen CO2 Emissionen verantwortlich. Aber natürlich braucht es Einzelpersonen, die an den nötigen politischen Stellschrauben drehen. Damit das passiert, brauchen wir Massenproteste, die jetzt von der Politik fordern, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten – alles andere bringt nichts.
Natürlich kann sich jeder Mensch in seinem privaten Leben darum bemühen, die Klimakrise abzumildern. Aber diese Möglichkeiten sind – ehrlich gesagt – sehr begrenzt. Daher sollte niemand dafür verurteilt werden, wenn er oder sie sich nicht die teure fair gehandelte Schokolade leisten kann, sondern ein billiges Produkt kaufen muss, weil er oder sie es sonst gar nicht kaufen könnte. Wir sollten uns nicht gegenseitig verurteilen, sondern einander dazu motivieren, aktiv zu werden und etwas gegen die Klimakatastrophe zu tun.
Was möchten Sie Weltläden und ihren Kund*innen mit auf den Weg geben?
Ich finde es sehr bewundernswert, wenn Menschen über die Folgen ihres Konsums nachdenken und erkennen, dass sie einen gewissen Unterschied machen können – indem sie beispielsweise beim Einkaufen ihr Verhalten ändern. Ich würde mir wünschen, dass sich noch mehr Menschen Gedanken über die Auswirkungen ihres eigenen Handelns machen. Und dass sie dann auch politisch aktiv werden, sich zum Beispiel in politische Entscheidungen einmischen, bei politischen Aktionen mitmachen und dort versuchen, Großes zu bewirken.
Das Interview führte Svenja Lambert (Weltladen-Dachverband).
ZUR PERSON
Leonie Bremer hat Umwelt- und Energiewissenschaften studiert und ist eine der Pressesprecher*innen von Fridays for Future Deutschland. Bei TV-Formaten wie „hart aber fair“ oder der Weltklimakonferenz in Madrid vertritt sie die Forderungen der Bewegung.