
Segel-Kaffee: Mit Windkraft von Mittelamerika nach Europa
Autor: Jens Klein
Es ist kurz vor Mitternacht, als Peggy Engelmann das Prusten der Wale hört. Sie nähern sich dem Frachtsegler Avontuur und bringen mit ihren Bewegungen das Plankton im Atlantik zum Leuchten. Das überwältigende Schauspiel zählt zu jenen Erlebnissen, die Engelmann und die anderen 14 Crewmitglieder niemals vergessen werden. Sie sind im Januar 2020 mit der 100 Jahre alten Avontuur in See gestochen, um fair gehandelten Kaffee und Kakao klimaschonend über den Atlantik zu transportieren.
Kaffeeanbau in gesunden Mischkulturen
Mit an Bord waren auch mehr als 16 Tonnen Roh- und Röstkaffee für Café Chavalo. Bereits zum dritten Mal transportierte die Avontuur im Auftrag der Leipziger Genossenschaft fair gehandelten Bio-Kaffee aus Nicaragua per Windkraft nach Deutschland. Die Bohnen stammen von den 250 Produzent*innen des Kooperativenverbandes Tierra Nueva. Sie bauen ihren Arabica-Kaffee in ökologisch wertvollen Mischkulturen im Wald oder im Schatten von Bananenstauden und Zitrusbäumen an. Einige Produzent*innen haben ehemalige Weideflächen übernommen und mit viel Einsatz wiederaufgeforstet, um dort gesunde Ökosysteme und gute Anbaubedingungen für Kaffee zu schaffen. „Wir sind froh darüber, Teile unseres Kaffees per Segelschiff zu transportieren“, sagt Pedro Pablo Zuniga P., Geschäftsführer von Tierra Nueva. Schließlich seien die Folgen des Klimawandels in Nicaragua bereits deutlich zu spüren. „Umso wichtiger ist es für uns, aktiv ein Zeichen für mehr Klima- und Umweltschutz zu setzen“, erklärt Zuniga P.
„Wir sind froh darüber, Teile unseres Kaffees per Segelschiff zu transportieren", sagt Pedro Pablo Zuniga P., Geschäftsführer von Tierra Nueva. Schließlich seien die Folgen des Klimawandels in Nicaragua bereits deutlich zu spüren. „Umso wichtiger ist es für uns, aktiv ein Zeichen für mehr Klima- und Umweltschutz zu setzen."
Klimaschonender Transport, klimaneutrales Produkt
Der Segel-Kaffee von Café Chavalo landet als klimaneutrales Produkt in den Regalen der Weltläden. Der emissionsarme Transport allein reicht dafür nicht aus. Gemeinsam mit der Stiftung myclimate wurde der komplette Produktionsprozess analysiert. Wie weit sind die Wege von den Anbauflächen bis ins Lager von Tierra Nueva? Aus welchem Materialmix bestehen die Kaffeebeutel? Wie viel Gas verbraucht die Röstmaschine in Deutschland? An einigen Stellen, wie etwa beim Seetransport, lässt sich der Ausstoß an Kohlendioxid (CO2) reduzieren. Wo dies nicht oder noch nicht möglich ist, werden entstandene Emissionen mit Hilfe eines Aufforstungsprojekts direkt in Nicaragua kompensiert. Die entstehenden Agroforstsysteme wirken auf vielfältige Weise. Sie speichern große Mengen CO2, verhindern Erderosionen, Überschwemmungen und Dürren und verbessern die Fruchtbarkeit des Bodens.
Schmutzige Containerschifffahrt
Der Transport per Segelschiff rückt ein Thema in den Fokus, das bisher zu wenig Beachtung findet: die Containerschifffahrt als Motor der Globalisierung. Erst die Einführung der Container hat es möglich gemacht, dass Produkte teilweise mehrfach um die Welt geschickt werden, bis sie im Geschäft landen. Denn jeder einzelne Verarbeitungsschritt wird dort erledigt, wo es gerade am günstigsten ist. Die Transportkosten fallen dabei kaum ins Gewicht – denn Container lassen sich in der Regel spottbillig von A nach B schicken.
Doch der wahre Preis ist hoch: Mehr als 90.000 Schiffe unterschiedlicher Größe sind auf den Weltmeeren unterwegs. Viele von ihnen werden mit Schweröl betrieben. Das sind Rückstandsöle aus den Raffinerien, die mehr Schwefel und Schwermetalle als andere Treibstoffe enthalten und deshalb die Umwelt besonders stark belasten. Die Arbeitsbedingungen an Bord sind oft prekär. Die meisten Containerschiffe fahren unter sogenannten Billigflaggen. Obwohl die Reederei ihren Sitz in einem europäischen Land hat, fahren die Schiffe nicht unter deutscher oder dänischer Flagge, sondern beispielsweise unter der Fahne Liberias oder Panamas. An Bord gelten dann die Gesetze des jeweiligen Flaggenlandes. Die Folge sind oftmals geringe Löhne für die Seeleute, geringe Steuern für die Schiffseigner und geringere Sicherheitsanforderungen.
Cornelius Bockermann ist mit seiner Reederei Timbercoast angetreten, um zu zeigen, dass es auch anders geht: Seit 2016 segelt sein Frachtsegler Avontuur über die Weltmeere, um klimaschonend Waren zu transportieren. „Unsere Arbeit mag wie ein Tropfen im Ozean wirken, aber wir bleiben standhaft und zusammen sind wir die Gezeiten, die die Seefahrtsindustrie verändern werden“, sagt Bockermann.
Kleines Schiff schlägt hohe Wellen
Es ist der Kampf Davids gegen Goliath: Während die weltweit größten Containerschiffe eine Kapazität von bis zu 24.000 Standardcontainern haben, findet im Bauch der Avontuur der Inhalt von drei bis vier Containern Platz. Ein Winzling. Doch medial schlägt der Segler aus Elsfleth bei Bremen hohe Wellen. Mehrere Fernsehsender und überregionale Zeitungen haben über die Avontuur und den klimaschonenden Transport per Segler berichtet. Durch dieses Medienecho werden die Menschen für die Problematik der Containerschifffahrt sensibilisiert.
Windkraft als Zukunftsmodell
An Herausforderungen mangelt es dem ambitionierten Vorhaben, mehr Waren per Windkraft zu transportieren, nicht: Selbst mit einem Frachtpreis, der mehr als das 15-fache der Transportkosten per Container beträgt, lässt sich das Schiff gerade so wirtschaftlich betreiben. Wenn es gelingen würde, mehr Transportaufträge für den Hinweg zu ergattern, könnten diese Kosten gesenkt werden. Bisher segelt die Avontuur meist ohne Fracht von Europa aus in die Karibik, was bedeutet, dass sie auf diesem Teil der Strecke keinen Gewinn erwirtschaften kann. Es müssten also Unternehmen gefunden werden, die ihre Export-Produkte mit dem Frachtsegler von Europa nach Mittelamerika transportieren lassen.
Die Avontuur zeigt im Kleinen, dass es eine Alternative zum Status quo gibt. Damit wird sie zum starken Symbol für eine Bewegung, die in der gesamten Lieferkette bestehende Strukturen hinterfragt und neue Wege eröffnen möchte. Wasserstoff könnte ebenso zum Einsatz kommen wie etwa containerfähige Segelschiffe. Pläne für die millionenschweren Projekte liegen bereits in den Schubladen. Eine schwedische Reederei will 2024 einen 200 Meter langen Frachtsegler vom Stapel laufen lassen. Größter Wermutstropfen: Die „Oceanbird“ soll ein Autotransportschiff werden. Andererseits zeigt gerade dieser Umstand besonders deutlich: Auch der Mainstream hat erkannt, dass Alternativen zu den bisherigen Ozeanriesen mit ihrem immensen Schwerölverbrauch längst überfällig sind.
Die Avontuur setzt derweil zur nächsten Atlantiküberquerung an. Auch 2021 wird sie wieder fair gehandelten Kaffee, Kakao und andere Produkte von Mittelamerika nach Deutschland bringen. Zu den Frachtnehmern zählen neben Café Chavalo auch weitere Weltladen-Lieferanten wie El Puente, el rojito, EZA und Zotter.
Zur Person
Jens Klein ist Gründer und Vorstand der Café Chavalo eG. Die Leipziger Genossenschaft importiert fair gehandelte Bio-Produkte aus Nicaragua und hat es sich zum Ziel gesetzt, möglichst viel davon per Segelkraft zu transportieren. Aktuell sind es etwa 35 Prozent.