
Upcycling in Ghana: Mit gebrauchten Mehlsäcken in nachhaltigere Zukunft
Autorin: Gabriele Ludwig
In vielen Ländern des Globalen Südens haben Upcycling und Recycling eine lange Tradition. Der Mangel an bezahlbaren Rohstoffen macht die Menschen erfinderisch. Aus drei alten und defekten Autos wird ein ‚neues‘; vermeintlich nicht mehr zu gebrauchende Elektrogeräte werden repariert, aus Altglas wird Schmuck – die Liste ließe sich beliebig verlängern. Viele zur Verfügung stehende Materialien werden effektiv und kreativ eingesetzt.
Wo Rohstoffe knapp sind, wird erkannt, dass der Begriff ‚Wertstoff‘ daher rührt, dass sich auch hinter defekten Gegenständen noch ein realer Wert verbirgt, den es zu bergen gilt. Daraus hat sich in vielen Ländern, so auch in Ghana, ein nicht unerheblicher Wirtschaftszweig entwickelt und viele Menschen leben von der Müllverwertung in den unterschiedlichsten Formen. In einem Land ohne staatliches Abfallsystem leisten diese Menschen einen wichtigen Beitrag dazu, das Müllproblem einzudämmen. Was von der einen Person nicht mehr benötigt wird, wird von einer anderen Person wiederverwertet, ohne dass dabei von Recycling oder Upcycling gesprochen wird. Während diese Begriffe in Deutschland regelrechte Modewörter sind, spielen sie für viele Menschen in Ghana kaum eine Rolle, denn der sorgsame Umgang mit jeglicher Form von Wertstoffen ist so tief verankert in ihrem Alltag, dass es dafür keine Fachbegriffe braucht und ein anderes Verhalten auf Unverständnis stoßen würde.
Bei der Nichtregierungsorganisation Global Mamas in Ghana wird das Prinzip des Upcyclings schon lange gelebt. 60 Prozent der in der Produktion eingesetzten Materialien sind wiederverwandt, egal ob bei der Produktion von Mode, Heimtextilien und Accessoires oder bei der Schmuckproduktion. Global Mamas sind Mitglied der World Fair Trade Organisation und verkaufen ihre modischen und umweltfreundlichen Produkte in den USA und Europa. Damit erwirtschaften sie existenzsichernde Löhne, die dem zweieinhalbfachen des gesetzlichen Mindestlohns entsprechen. Der sorgsame Umgang mit den Rohstoffen zeigt, wie wichtig Global Mamas der Schutz der Umwelt ist und hilft gleichzeitig dabei, die Produktionskosten zu reduzieren. Dadurch kann die Organisation trotz der überdurchschnittlichen Löhne dem Preisdruck des Textilmarktes standhalten.
Umweltschonende Textilproduktion made in Ghana
Bei Global Mamas werden Textilien handwerklich hergestellt. Bio-zertifizierte Baumwolle wird in traditioneller Wachsbatik-Technik von Hand bedruckt und gefärbt und das dabei eingesetzte Wachs weitestgehend wiederverwertet. Jede Näherin produziert aus diesem Stoff diverse Produkte – jedes Stück komplett vom Schnitt bis zur letzten Naht. Die dabei anfallenden Stoffabfälle werden gesammelt, um daraus beispielsweise Täschchen, Stirnbänder oder Patchworkdecken zu nähen. Kleinere Stücke werden zu langen Streifen zusammengenäht, aus denen dann Topfuntersetzer gehäkelt werden. Somit fällt kaum noch Abfall an und der kostbare Rohstoff wird bestmöglich genutzt – ökologisch und ökonomisch sehr effizient.
Hier kommt auch der Mehlsack zum Einsatz: Das Futter vieler Taschen und Accessoires sowie die Rückseite von Schürzen, Lätzchen oder Tagesdecken werden aus gebrauchten Baumwollmehlsäcken hergestellt, die lokalen Bäckereien abgekauft werden. Da Global Mamas für die Säcke bezahlt, müssen die Bäckereien sie nicht entsorgen und können ihr Mehl weiterhin im Baumwollsack statt in Plastikbeuteln bestellen. Die Säcke sind sehr fein, strapazierfähig und frei von Chemikalien. Aber erst als das Thema Upcycling zum internationalen Trend wurde, hatte Global Mamas den Mut, eine kleine Eco-Serie herzustellen, bei der die Mehlsäcke richtig in Szene gesetzt wurden: eine Eco-Wende-Schürze, ein Kosmetiktäschchen, Einkaufstaschen und Stoffbeutel, die sich ideal für den Einkauf und die Lagerung von unverpackten Lebensmitteln eignen. Auch bei dieser Eco-Serie werden die Stoffe durch Wachsbatik veredelt. Dadurch erhält ein vermeintliches Abfallprodukt ein zweites Leben als schönes alltagstaugliches Utensil mit einer langen Wertschöpfungskette. Vom Bäcker bis zur Batikerin haben alle etwas davon.
Von der Flasche zur Perle
Auch bei der Schmuckherstellung arbeiten Global Mamas mit einem Material, das sein erstes Leben schon hinter sich hat. Ihr Schmuck besteht zu 100 Prozent aus recyceltem Glas. Das gesammelte Altglas wird farblich sortiert, in großen Mörsern fein zerstoßen, gesiebt, teilweise eingefärbt und dann in eine Tonform gefüllt, welche die jeweilige Perlenformen abbildet. In die Mitte jeder Mulde wird ein Stück eines Maniokblattstieles gesteckt, damit die Perle auch ein Loch erhält. Nun kommt die Form in den Schmelzofen und während das Pulver zu einer Perle verschmilzt, verbrennt zuletzt der Blattstiel und hinterlässt so das Loch in der Perle. Die Perlen werden nach dem Abkühlen aus der Form auf einen Draht aufgezogen und mit Wasser und Sand poliert. Teilweise werden die Perlen dann noch aufwendig von Hand bemalt.
Das Glas für die Perlen kaufen die Perlenmacher*innen von Menschen, die sich durch das Sammeln und Sortieren von Müll, oder besser gesagt von Wertstoffen, ein Einkommen erwirtschaften. So haben viele etwas von dieser Wertschöpfungskette, die aus dem Abfallprodukt Altglas schönen und aufwendig hergestellten Schmuck macht.
Auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft
Global Mamas haben eine klare Vision, wie sie ihre Zukunft noch nachhaltiger gestalten werden. 2019 wurde mit dem Bau der Fair Trade Zone (FTZ) begonnen – einer Produktions- und Lernstätte, gebaut mit traditionellen Werkstoffen, aber mit dem Wissen und der Technik des 21. Jahrhunderts. Gebaut wird mit lokalen und umweltverträglichen Materialien wie gepressten Erdblöcken, Kokosnussschalen, Bast, Bambus und recyceltem Plastik, Glas und Reifen. Innovative Systeme wie Regenwassersammlung, Schmutzwasserrecycling und -aufbereitung sowie Biogas- und Solarenergieerzeugung werden die Umweltauswirkungen der Textil- und Schmuckproduktion minimieren, lassen das Ziel einer CO²-neutralen Produktionsstätte real werden und schaffen bis zu 200 neue Arbeitsplätze.
Global Mamas möchte dadurch den Beweis antreten, dass in der Modeindustrie, die bislang nach der Ölindustrie der zweitgrößte Umweltverschmutzer der Welt ist, eine Veränderung möglich ist. Die FTZ versteht sich als Pilotprojekt ethischer Produktion und umweltfreundlichen Bauens und soll auch ein Kommunikations- und Lernort für einheimische und ausländische Besucher*innen sein und Schule machen. Upcycling und Recycling werden bei Global Mamas somit zum Motor für ein modernes, zukunftsfähiges und nachhaltiges Wirtschaften in Ghana und zeigen, dass eine andere Zukunft möglich ist.

Zur Person
Gabriele Ludwig vertreibt über ihr Fair-Handels-Unternehmen handtrade die Produkte von Global Mamas u.a. in Weltläden.