Keine soziale Gerechtigkeit ohne Klimagerechtigkeit
Hier stellt die Erderwärmung insbesondere kleinbäuerliche Landwirt*innen vor immense Herausforderungen. Auch wenn sich die Anbau- und Produktionsbedingungen zwischen Sri Lanka, Äthiopien oder Honduras stark unterscheiden, gibt es doch einige strukturelle Faktoren, mit denen Kleinbäuer*innen weltweit zu kämpfen haben und die sie besonders anfällig für die Folgen der Klimaerwärmung machen.
Wetterveränderungen belasten Kleinbäuer*innen besonders
Vielen kleinbäuerlichen Betrieben fehlt der Zugang zu aktuellen Wetterprognosen und Forschungsergebnissen. Das ist insofern problematisch, als das Wetter immer seltener altbekannten Mustern folgt. Während früher in vielen Regionen fast die Uhr nach der einsetzenden Regenzeit gestellt werden konnte, treten Niederschläge heute sehr unregelmäßig auf: das Spektrum reicht von plötzlichen Überflutungen bis hin zu außergewöhnlich langen Trockenperioden. Das ist nicht nur für die Menschen ein Problem. Während in unseren Breitengraden beheimatete Pflanzen gelernt haben, mit ganz unterschiedlichen Wetterbedingungen auszukommen, war das für tropische Pflanzen bislang nicht nötig. Kaffee oder Kakao beispielsweise haben sich ideal an die einstmals stabilen Wetterverhältnisse angepasst. Das bedeutet aber auch, dass jede Abweichung von diesen „Idealbedingungen“ die Pflanzen vor Probleme stellt. Schon geringe Änderungen der Temperatur oder der Niederschlagsmenge über das in den Tropen gewöhnliche Maß hinaus führen schnell zu teilweise gravierenden Ernteeinbußen. Pflanzenkrankheiten und Schädlinge dagegen fühlen sich bei der zunehmenden Wärme wohl. Sie gedeihen, breiten sich aus und treffen dann auf Pflanzen, die von den steigenden Temperaturen geschwächt sind.
In Zentralamerika beispielsweise sorgte „la roya“, der fast besiegt geglaubte Kaffeerost, vor wenigen Jahren für immense Ernteeinbußen. In vielen Regionen ging mehr als die Hälfte der Kaffeeernte verloren. Der Hitzestress für die Pflanzen ließe sich durch zusätzliche Bewässerung mildern, doch nur wenige kleinbäuerliche Betriebe haben Zugang zu zusätzlichem Wasser. Ohnehin ist oder wird in vielen Regionen das Süßwasser zunehmend knapp. Ebenfalls knapp werden fruchtbare Ackerflächen, von denen viele den steigenden Temperaturen, Dürren oder Versalzung zum Opfer fallen werden. Böden, die sich zur Bewirtschaftung eignen, werden immer begehrter. Für Westafrika beispielsweise, wo der größte Teil des global gehandelten Kakaos angebaut wird, werden Verteilungskonflikte, die weitere Abholzung von Regenwäldern zur Erschließung neuer Anbauflächen und eine gravierende Zunahme der Armut prognostiziert.
Das sind nur Beispiele dafür, wie der Klimawandel die in der Landwirtschaft tätigen Menschen im Globalen Süden heute und in Zukunft betrifft. Den Kleinbauernfamilien fehlen die nötigen Ressourcen, um plötzliche Ernteausfälle abfedern, neue Anbauflächen erschließen oder auf kommende Herausforderungen rechtzeitig reagieren zu können.
Fairer Handel unterstützt kleinbäuerliche Strukturen
Wenn die Weltbevölkerung in Zukunft nachhaltig ernährt werden soll, führt kaum ein Weg an einer kleinbäuerlich geprägten Landwirtschaft vorbei. Das Konzept der konventionellen Agrarindustrie mit großflächigem Anbau in Monokulturen und dem intensiven Einsatz von Dünger und Chemikalien, wie es sich in weiten Teilen Europas durch starke Subventionierung ausgebreitet hat, ist nicht zukunftsfähig. Es bedroht Böden, Grundwasser und Artenvielfalt.
Der größte Teil der Rohstoffe für Fair-Handels- Produkte stammt aus kleinbäuerlicher Produktion. Durch Mindestpreise, langfristige Handelsbeziehungen und Prämienzahlungen verhilft der Faire Handel den Produzent*innen zu einer stabileren wirtschaftlichen Grundlage und damit zu einer höheren Klimaresilienz.
Lokale Anpassungsmaßnahmen sind notwendig
Doch damit allein ist es nicht getan. Viele Fair-Handels-Organisationen haben Programme gestartet, um Antworten auf die Herausforderungen des Klimawandels zu finden. Die Produzentennetzwerke des Fairen Handels bieten Beratung und Schulungen zu nachhaltigem Wassermanagement, dem Schutz von Böden und Biodiversität und zu landwirtschaftlichen Anpassungsstrategien an.
Die Auswirkungen der Erderwärmung sind allerdings von Region zu Region völlig unterschiedlich. Anpassungsmaßnahmen können daher nicht am Schreibtisch durchgeplant werden, sondern müssen sich vor Ort „auf dem Acker“ beweisen. In den meisten bäuerlichen Gemeinschaften existiert ein großer, über Generationen weitergegebener Erfahrungsschatz zu den lokalen landwirtschaftlichen Bedingungen. Die Programme sollten auf diesen Erfahrungen aufbauen und den Austausch der Betroffenen untereinander fördern, zugleich aber auch allgemeinwissenschaftliche Erkenntnisse vermitteln. Das wird beispielsweise über landwirtschaftliche Ausbildungszentren erreicht. In einem Pilotprojekt mit den regionalen Fairtrade-Netzwerken lernen 300 bolivianische Kleinbäuer*innen Strategien zur Anpassung an den Klimawandel und geben diese anschließend an andere Mitglieder ihrer Kooperativen weiter. Durch die Pflanzung widerstandsfähigerer Sorten und durch veränderte Bodenbewirtschaftung soll beispielsweise der Pilzbefall der Sträucher deutlich zurückgehen und die Bodenqualität und -fruchtbarkeit gesteigert werden.
Ökologische Kriterien spielen im Fairen Handel eine wichtige Rolle
Der Faire Handel selbst will durch seinen Ansatz das Klima schützen. Rund ein Drittel der Kriterien in den Fairtrade-Standards beziehen sich auf Umwelt- und Klimaschutz. Auch in den zehn Prinzipien der World Fair Trade Organization (WFTO) sowie in der Konvention der Weltläden taucht der Umweltschutz an mehreren Stellen auf. Eine nach ökologischen Prinzipien geführte Landwirtschaft ist im Fairen Handel zwar nicht zwingend vorgeschrieben, doch durch die Kriterien und über Prämienzahlungen wird die Ausrichtung auf diese Art des Anbaus gefördert. Heute sind bereits 80 Prozent aller fair gehandelten Lebensmittel aus ökologischer Produktion.
Zweifelsohne stellt vor allem der weite Transport die Nachhaltigkeit der bei uns verfügbaren, fair gehandelten Produkte in Frage. Doch auch diese Produkte können eine vorteilhafte Klimabilanz aufweisen, wenn deren Produktion und Transport klimabewusst erfolgt. Seit einiger Zeit gibt es zum Beispiel fair gehandelten Kaffee aus Mittelamerika, der mit einem Frachtsegler nach Europa verschifft wird. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass Anbau und Verkauf von Produkten für viele Menschen im Globalen Süden die Existenzgrundlage darstellen. Es ist daher wichtig, ihnen diese Existenzgrundlage zu erhalten und sie zugleich in ihrer Klimaresilienz zu stärken – und das tut der Faire Handel.
Klimagerechtigkeit muss in den Fokus gerückt werden
Neben der Unterstützung kleiner Produzent*innen wird es entscheidend darauf ankommen, die Erderwärmung zu bremsen. Das lässt sich natürlich nicht allein durch den Fairen Handel erreichen, aber er kann relevante Beiträge dazu leisten, indem er sich die Forderung nach Klimagerechtigkeit zu eigen macht. Das heißt, den Klimawandel nicht nur als Umweltproblem zu betrachten, sondern vielmehr als Produkt sozialer Ungleichheit und eines Wirtschaftssystems, das vom Wachstum als Selbstzweck besessen ist. Es ist vor allem der Lebensstil der Menschen in den sogenannten „Schwellen- und Industrieländern“ wie den USA, Japan, China und Deutschland, der für den Ausstoß von Treibhausgasen und damit für den fortschreitenden Klimawandel verantwortlich ist. Es braucht also in diesen Ländern politische Richtungsentscheidungen für globale Klimagerechtigkeit und eine Änderung des Lebensstils.
Kleinbäuer*innen verfügen nur über wenig politische Macht, um die Rahmenbedingungen zu ihren Gunsten beeinflussen zu können. Der Faire Handel hat sich schon immer dafür eingesetzt, dass die Stimme derjenigen gehört wird, die im großen Spiel der Weltwirtschaft nicht die Hebel der Macht in der Hand halten. Und er hat schon immer darauf gesetzt, mit dem Verkauf der Waren eine Aufforderung zu einem alternativen, bewussteren Konsum und Lebensstil zu verknüpfen. Genau darauf kommt es an.
Dr. Ruben Quaas
ZUR PERSON
Dr. Ruben Quaas ist Referent für Fairen Handel bei Brot für die Welt. Er erlebt bei Reisen zu Projektpartnern immer wieder, welch gravierende Auswirkungen der Klimawandel für viele Menschen im Globalen Süden schon jetzt hat. Er sagt: „Wir Europäer*innen könnten und müssten unseren Lebensstil radikal ändern – aber anders als im Süden merken wir im Alltag, die extreme Hitze der letzten Monate ausgenommen, noch wenig vom Klimawandel. Und so hoffen wir darauf, dass schon alles irgendwie gut gehen wird.“ www.brot-fuer-die-welt.de