
Außensicht von Sven Giegold
Fairer Handel: Von der Wahl zur Regel
In fast jedem Supermarkt haben Verbraucher*innen inzwischen die Wahl: Fair oder egal. Sicher, im Supermarkt gibt es nur wenige fair gehandelte Produkte im Vergleich zum fairen Fachhandel der Weltläden. Doch niemand kann sich mehr vor der alltäglichen Entscheidung drücken: Ist mir das Leiden der Produzent*innen in ärmeren Ländern egal, entscheide ich mich für ein Stück Fairness im Welthandel oder flüchte ich mich in die – falsche – höchstens kurzfristig selbstentlastende Ausrede, dass doch all der Faire Handel keinen Unterschied mache.
Es ist erfreulich, dass der Faire Handel wächst und immer mehr Menschen zu fair gehandelten Produkten greifen. Trotzdem ist es für mich eher ein Ausweis der eigenen Ohnmacht, wenn wir Politiker* innen den Bürger*innen den fairen Handel empfehlen. Denn die konventionellen „Egal-Produkte“ sind eigentlich keine Wahl für die Verbraucher*innen, sondern täglich akzeptierte Menschenrechtsverletzungen. Die großen Handelsketten kaufen über Zwischenhändler von Bäuer*innen, Textilarbeiter*innen, Elektronik-Schrauber*innen usw. Produkte zu Preisen, die zu wenig sind zum Leben und zu viel zum Sterben. Die sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte der Vereinten Nationen auf Nahrung, Gesundheitsversorgung, Bildung und Wohnung werden dabei gleich mehrfach gebrochen. Fast niemand würde solch einen Handel in seiner Nachbarschaft akzeptieren oder gutheißen. Doch vermittelt über Handelsriesen und transnationale Unternehmen, spielt sich die Ausbeutung über lange Handelsketten unseren Augen entrückt ab.
Deshalb muss es das Ziel von Politik sein, dass der gesamte Handel fair wird. Nicht mehr der Marktpreis und die Macht der Handelsriesen in Lieferketten dürfen bestimmen, was Produzent*innen erhalten. Vielmehr muss ein Mindestniveau gelten, das jedem und jeder zusteht und zwar genug, um anständig leben zu können. Dazu sollte der Staat einen Anfang machen. Die öffentliche Beschaffung macht rund 15 Prozent der Gesamtnachfrage aus. Sie muss komplett auf Fairen Handel umgestellt werden. Dazu haben mehrere rot-grün regierte Landesregierungen wichtige Schritte durch nachhaltige Beschaffungsgesetze gemacht. Letztlich fällt die Entscheidung aber in jeder Kommune, in jedem öffentlichen Unternehmen neu. Es lohnt sich, dafür zu streiten.
Alle Produkte sollten für die Endverbraucher*innen klar gekennzeichnet werden. Verbraucher*innen haben ein Recht, einfach erkennen zu können, ob ein Produkt fair ist, Tiere artgerecht gehalten wurden und die Umwelt geschont wurde. Dabei darf es bei „Positiv-Labeln“ nicht bleiben, sondern wie bei der Eier-Kennzeichnung muss sowohl ein guter als auch schlechter Standard gekennzeichnet sein. Große Handelsunternehmen müssen zu Transparenz und Mindeststandards in ihrer gesamten Lieferkette verpflichtet werden.
Soziale und ökologische Standards gehören auch in die internationalen Handelsverträge. Die EU verhandelt derzeit rund 30 bilaterale Freihandelsabkommen, darunter viele mit Entwicklungsländern. Die neuen Handelsverträge enthalten jedoch vor allem eine neue Welle von Marktöffnungen und Rechten für internationale Investoren, statt starke Regeln im Welthandel zu verankern. Daher verdienen CETA, TiSA, EPAs und Co. ein klares Nein. Doch auch Abschottung wäre selbstverständlich das Gegenteil von Fairem Handel. Die Handelspolitik der EU braucht deshalb einen Neustart nach dem Motto: Der Handel muss fair und frei sein.
Text: Sven Giegold
ZUR PERSON
Sven Giegold ist Mitglied des Europäischen Parlaments und wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament.